Reizüberflutung beim Hund – Symptome und Möglichkeiten

Woran erkennst du, ob dein Hund überfordert ist von den Reizen, die ihn umgeben? Wieviel ist ok, wann wird es zu viel (oder auch zu wenig)? Und vor allem, welche Auswirkungen hat das auf das Wohlbefinden und Verhalten deines Hundes?

Was sind Reize?

Als Reiz kannst du jede Veränderung und jedes Ereignis in der Umwelt deines Hundes sehen. Jeder Geruch, jedes Geräusch, jedes Gefühl, jede Veränderung im inneren deines Hundes (Bauchschmerzen, …) und auch jede von dir ausgehende Interaktion und Anforderung. Somit wird schnell klar, dass dein Hund ständig von einer Vielzahl von Reizen umgeben ist. Doch das bedeutet noch nicht, dass er stetig mit Reizen überflutet ist. Reizüberflutung ist zum einen abhängig von der Anzahl und der Art an Reizen, die deinen Hund umgeben und die er verarbeitet. Und ebenso von seiner Fähigkeit mit ihnen umzugehen.

Während für einen Hund eine Situation völlig ok sein kann, ist es möglich, dass ein anderer Hund bereits überfordert ist, weil es zu viele Anforderungen und Reize sind, die er verarbeiten muss. Deshalb ist es enorm wichtig, dass du deinen Hund immer individuell betrachtest und nicht in den Vergleich mit einem Hund stellst, der entspannter mit schwierigen Situationen umgehen kann. Natürlich kann auch dein Hund eine entsprechende Resilienz erlernen. Doch bringt der Vergleich vor allem eines: Druck, der häufig zu einer erneuten Reizüberflutung führt, weil die Anforderungen zu hoch gesetzt werden.

Wichtig ist ebenso zu wissen, dass das Gehirn deines Hundes nicht jeden Reiz verarbeitet. Es sortiert in Hochgeschwindigkeit aus, welcher Reiz relevant ist und welcher nicht, z.B. für Sicherheit, Lebenserhaltung und Fortpflanzung. Je nach den genetischen Anlagen deines Hundes, seinem individuellen Charakter, seiner Gesundheit (Schmerzen, Schilddrüsenunterfunktion, Ernährungsfehler…) und seinen Lernerfahrungen kann es sein, dass er mehr oder weniger Reize als relevant verarbeitet und entsprechend darauf reagieren möchte.

Je mehr Reize relevant erscheinen, desto mehr Leistung muss dein Hund und sein gesamter Organismus erbringen, um mit ihnen umzugehen. Werden es zu viele relevante auf einmal entsteht eine Reizüberflutung und dein Hund ist überfordert. Sein Stresslevel steigt enorm an und es bleiben nur noch wenige Verhalten für ihn, um zu reagieren und die Situation zu lösen.

Woran du eine Reizüberflutung bei deinem Hund erkennst

Ist dein Hund überfordert mit den Reizen in seiner Umwelt, wird sich sein Verhalten entsprechend verändern. Seine Herzfrequenz und Atemfrequenz können ansteigen, wodurch er beginnt vermehrt zu hecheln. Zeigt die Zunge dabei eine Anspannung (Zungenspitze eingerollt, Zunge hängt nicht lampenartig aus dem Maul heraus), ist dies ein weiteres Zeichen für Stress. Zusätzlich wird ein Hormoncocktail ausgeschüttet, der deinen Hund bereit für Kampf oder Flucht macht. Dein Hund wird schneller Aggressionsverhalten zeigen und beginnen zu bellen oder zu schnappen. Er könnte beginnen an der Leine zu ziehen, oder sich zu verstecken.

Da das gesamte System deines Hundes in Alarmbereitschaft versetzt wurde, wird er ebenso schreckhafter werden und seine Augen werden weiter geöffnet sein, sodass du sogar das weiße in seinen Augen sehen kannst (Walauge). Häufig wird er auch sensibler Reizen gegenüber und scheint "überzureagieren".

Außerdem kann es sein, dass dein Hund vermehrt Urin absetzt, oder völlig "abschaltet" und für dich nicht mehr erreichbar ist. Es ist auch möglich, dass er beginnt zu rammeln, an dir hochzuspringen oder in deine Kleidung oder die Leine zu beißen.

Auch gegenteiliges Verhalten ist möglich, indem dein Hund Verhalten völlig einstellt und einfriert. Vielleicht läuft er noch, aber er zeigt keinerlei Erkundungsverhalten mehr. Denkst du dir jetzt, dass dein Hund sich häufig oder immer so zeigt? Dann könnte das ein Indiz dafür sein, dass er dauerhaft überfordert ist.

Eine häufige oder dauerhafte Überforderung deines Hundes hat viele negative Auswirkungen, sowohl im Verhalten als auch in der Gesundheit deines Hundes. Durch den andauernden Stress-Hormon-Cocktail werden auch die Entgiftungsorgane deines Hundes gefordert. Für einen Moment ist das kein Problem, doch auf lange Sicht wird es Leber und Niere deines Hundes belasten.

Außerdem wird es deinem Hund immer schwerer fallen zur Ruhe zu kommen, zu entspannen und gut zu schlafen. So paradox es klingen mag, führt dieser Stress-Hormon-Cocktail, der sehr lange benötigt um abgebaut zu werden, dazu, dass der Körper in konstanter Alarmbereitschaft ist. Ein wirkliches zur Ruhe kommen wird somit schwer bis unmöglich. Damit ist dein Hund nicht nur IN der Situation überfordert, sondern auch in deinem restlichen Alltag. Selbst nachts, wenn er eigentlich schlafen könnte. Auch die Verdauung bekommt bei häufiger oder andauernder Reizüberflutung Schwierigkeiten. Was unter anderem zu Durchfall, Appetitverlust und Gewichtsverlust führen kann.

Und es gibt ein weiteres wichtiges und für uns oft störendes Symptom von Reizüberflutung: Dein Hund kann erlerntes Verhalten schlecht abrufen und deine Signale schlecht bis unmöglich ausführen (Sitz, Platz, Rückruf, etc.) Ebenso kann er schlecht bis unmöglich Neues von dir lernen. Der Bereich des Gehirns, in dem all das abgespeichert ist wird bei einer Reizüberflutung und hohem Stress nahezu blockiert. Dafür wird der Teil des Gehirns, der Überleben sichert (Flucht, Kampf,…) umso mehr aktiviert. Das bedeutet, wenn du merkst, dass dein Hund ein gut gelerntes und eigentlich gern ausgeführtes Signal schlecht bis nicht mehr zeigen kann, dann ist es möglich, dass er bereits überfordert ist (voraus gesetzt, du hast es wirklich gut aufgebaut).

Wie kannst du deinem Hund bei Reizüberflutung helfen?

Als erstes ist eines wichtig: Sorge für Ausgleich. Schaffe Situationen in eurem Alltag, die für deinen Hund leicht handelbar sind. Hat er Schwierigkeiten mit vielen Begegnungen, suche einen Bereich auf, an dem ihr wenig bis niemanden trefft. Hat er Schwierigkeiten mit Geräuschen, suche Orte auf, an denen nahezu ausschließlich Naturgeräusche vorhanden sind.

Plane Momente in euren Alltag ein, in denen dein Hund sich so wohl und sicher wie möglich fühlt und möglichst unbeschwert sein kann. So bekommt er die Möglichkeit, den Stress-Hormon-Cocktail abzubauen und weiterhin für ihn schöne Erfahrungen zu sammeln. Außerdem ist es ratsam, auch Entspannung Zuhause zu fördern. Hierzu kannst du z. B. die konditionierte Entspannung aufbauen, um deinem Hund zu helfen schneller zur Ruhe zu finden. Auch dann, wenn er gerade durch verschiedene Reize aufgeregt wird.

Achte außerdem darauf, wie du deinen Hund an neue oder viele Reize heran führst. Viel hilft viel ist nicht die Devise. Es ist einfacher für deinen Hund in häufigeren, aber dafür deutlich kürzeren, Einheiten (5 Minuten am Tag) zu lernen, statt eine Stunde am Stück.

Sind viele Menschen, Geräusche und Gerüche für deinen Hund zum Beispiel zu viel, kannst du damit beginnen an einem Sonntag Morgen, 1x pro Woche, für 5-10 Minuten einen leeren Supermarktparkplatz aufzusuchen und dort etwas schönes mit ihm zu machen. Im besten Fall etwas, dass ihm Freude bereitet, aber keine weitere Erregung fördert. Du könntest ihm einen Schnüffelteppich anbieten, eine Licky Mat, oder einfach eine Futtersuche. Vielleicht möchte dein Hund den Ort vorher einfach abschnüffeln, bevor er die Kapazität dafür hat etwas mit dir zu machen (und sich sicher genug fühlt etwas zu essen).

Achte darauf, die Anzahl der Reize langsam zu steigern, immer so, dass dein Hund die oben genannten Verhaltenssymptome nicht zeigt. Das wiederholst du so oft, bis dein Hund keine Schwierigkeiten in der Situation mehr zeigt und dann steigerst du die Anzahl an Reizen. Dafür kannst du zum Beispiel die Uhrzeit ändern, oder den Tag, so dass ein paar Menschen und Autos auf diesem Parkplatz sind. Und dann beginnst du von vorn mit dem Schnüffelteppich und dem Erkunden der Gegend, genau wie im Schritt davor. Halte dabei immer den Abstand zu den Reizen ein, damit dein Hund die oben genannten Symptome nicht oder nur sehr kurz zeigt.

So stellst du sicher, dass dein Hund keiner Reizüberflutung ausgesetzt ist und sein Gehirn noch immer in der Lage dazu ist die Reize zu verarbeiten und vor allem zu lernen. So bekommt dein Hund die Möglichkeit tatsächlich zu erfahren, dass er sich in dieser Situation sicher und wohl fühlen kann, du an seiner Seite bist und er nicht ausgeliefert ist. Sollte eine Situation doch schwerer sein, als erwartet, oder etwas unerwartetes passieren, ist es hilfreich, wenn du eine Möglichkeit hast, um deinen Hund zu unterstützen.

Mögliche Übungen, die deinem Hund helfen können sind isometrische Übungen, das Entspannungswort, der U-Turn, Klick für Blick und gut aufgebaute Inseln, die ihr schnell ansteuern könnt. Gleichzeitig achte wirklich darauf, deinem Hund entsprechend Ausgleich zu schaffen, damit er nicht stetig gefordert und entsprechend überfordert wird.

Wenn du deinen Hund so entsprechend langsam und stetig an Reize heran führst bekommt er die Möglichkeit eine Stressresilienz aufzubauen, lernfähig zu bleiben, sich wohl zu fühlen und Verhaltensstrategien aufzubauen, um auch in reizüberflutenden Situationen gut zu handeln.

Das bedeutet: Am besten hilfst du deinem Hund bei Reizüberflutung, indem du verhinderst, dass er stetig mit Reizen überflutet wird. Und gleichzeitig führst du ihn Stück für Stück an mehr Reize heran, damit sie ihn langfristig nicht mehr überfordern.

Kann es auch zu wenig Reize geben?

Absolut. Wenn du deinen Hund komplett abschottest, nimmst du ihm (und dir) die Möglichkeit zu lernen mit diesen Reizen umzugehen. Ebenso kann auch eine Sensitivierung eintreten, wodurch dein Hund noch schneller überfordert sein wird. Reize sind wichtig, damit das Gehirn deines Hundes fit bleibt, neue Verbindungen schafft und deinen Hund fördert.

Das beste und vielleicht bekannteste Beispiel für zu wenig Reize sind Hunde aus dem Tierschutz, die in einer Scheune oder einem Verschlag aufgewachsen sind oder gehalten wurden. Sie sind häufig enorm schnell von Reizen überfordert und haben Schwierigkeiten Neues zu lernen. Doch das ist natürlich der Extremfall.

Es ist immer ratsam die entsprechende Balance für dich und deinen Hund zu finden. Auch hierfür gibt es keine pauschale Regel. Beobachte deinen Hund. Wann treten die oben genannten Symptome auf? Wie kannst du deinen Hund langsam an diese Situationen heran führen und gleichzeitig für entsprechend Ausgleich sorgen? Und: Vergleiche weder dich noch deinen Hund mit Anderen. Dafür seid ihr viel zu einzigartig.

Blogartikel #55


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