PODCAST #118: DIE 3 GRÖßTEN MYTHEN ZUM THEMA HUNDEGRUPPEN – INTERVIEW MIT ANNE ROSENGRÜN

Über das Zusammenleben von Hunden in Gruppen – sei es im Mehrhundehaushalt oder zeitweise auf der Hundewiese, in der HuTa, im Dog Walking oder während der Urlaubsbetreuung – gibt es viele verschiedene Meinungen, Ansichten und althergebrachte „Weisheiten“. Darum sprechen Anne Rosengrün und ich heute über: Die 3 größten Mythen zum Thema Hundegruppen.

Wer kennt ihn nicht, den gutgemeinten Ratschlag eines anderen Hundehalters: „Lass sie, die machen das schon unter sich aus“? Auch der Gedanke: „Ich halte nach einem Zweithund Ausschau, damit mein Hund nicht mehr allein ist und einen Kumpel zum spielen hat“ ist mit Sicherheit so manchem schon durch den Kopf gegangen.

Falsche Behauptungen über Hundegruppen haben Anne Rosengrün und ich für dich unter die Lupe genommen und von allen Seiten beleuchtet. 

In dieser Podcastfolge erfährst du: 

  • Was sind die 3 größten Mythen zum Thema Hundegruppen?
  • Wie kann ein harmonisches Zusammenleben mit mehreren Hunden gelingen?
  • Welche Rolle du als Hundemensch dabei spielst
  • Worüber du dir vor dem Einzug eines neuen Hundes Gedanken machen solltest
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Mythos Nr. 1: Rangordnung - Hunde regeln Konflikte unter sich und der Mensch soll und braucht hier nicht einzugreifen.

Häufig ist es so, dass die Menschen die Rangordnung in einer Hundegruppe festlegen. Meist wird dem älteren Hund bzw. dem, der schon länger im Haushalt wohnt, die höhere Rangstellung zugesprochen. Der jüngere Hund bzw. der „neue“ Hund wird rangniedriger eingestuft.
 
Das hat dann oft zur Folge, dass der vermeintlich ranghöhere Hund bevorzugt behandelt wird. Er bekommt zuerst sein Futter, bekommt als Erster das Geschirr angezogen und darf als erster zur Türe hinaus. 
Der jüngere Hund muss dabei immer zurückstehen und sich zurücknehmen. Dies fällt gerade aber jüngeren Hunden oder Hunden, die noch unsicher in ihrer neuen Umgebung sind, oft sehr schwer und löst Frust, Überforderung und weitere Unsicherheit aus. Aus diesem Frust und der Überforderung entstehen unerwünschte Verhaltensweisen.

Biologisch gesehen gibt es in Hundegruppen gar keine Rangordnung. Ausgenommen Gruppen, die aus eng verwandten Tieren bestehen – was eher die Ausnahme ist und bei Züchtern schonmal vorkommt. In der Regel sind Hundegruppen bunt zusammengewürfelt und bestehen aus völlig verschiedenen Hunden.


"Innerhalb von Hundegruppen besteht keine Rangordnung.
Wie wir Menschen, leben Hunde in einer Beziehung."


Anne Rosengrün


Hunde leben – ähnlich wie wir Menschen – in Beziehungen zueinander. Je besser sie sich kennen, desto besser können sie sich auch einschätzen.
Der Mensch trägt die Verantwortung dafür, dass die Hunde sich auf eine gute Art und Weise kennenlernen und eine freundschaftliche Beziehung aufbauen können.
Der oft erteilte Rat: „Die Hunde machen das unter sich aus.“ Oder auch: „Sie erziehen sich gegenseitig“ ist leider kontraproduktiv und kann Probleme verursachen und verschärfen.
 
Zum Beispiel ziehen oft Welpen zu älteren Hunden in den Haushalt und es wird erwartet, dass der ältere Hund den jüngeren mit erzieht. Oft sind die älteren Hunde von dem Verhalten der Junghunde überfordert und genervt und reagieren aggressiv.
Der vorherrschende Konflikt zwischen den Hunden wird oft als "Erziehung" abgetan und mit dem Spruch "Da muss er durch" oder "Das muss er lernen" werden sowohl der junge Hund als auch der ältere Hund mit der Situation leider oft allein gelassen.

Tatsächlich fühlen sich beide Hunde aber nicht gut dabei, denn Aggressionsverhalten löst immer auf beiden Seiten negative Gefühle aus. Daraus kann sich kaum eine harmonische Beziehung zueinander entwickeln.


"Ich lasse die Hunde nicht in Situationen reinlaufen, wo ich genau weiß, da kracht es gleich."

Anne Rosengrün


Klären Hunde in einem Rudel immer alles unter sich? Wie ist es wirklich? Zieht beispielsweise ein Welpe bei dir ein, so ist es deine Verantwortung, ihm ruhiges Verhalten gegenüber anderen Hunden beizubringen und Rücksicht auf das Ruhebedürfnis deines alten Hundes zu nehmen.
 
Lässt man die Konflikte unter den Hunden einfach laufen, lernt der junge Hund lediglich, dass Aggressionsverhalten eine Lösungsmöglichkeit ist. Wird er dann größer und reifer, wird er Aggression als Lösung dann im Erwachsenenalter auch zeigen. Und dann hat man „plötzlich“ Hunde im Haushalt, die sich nicht mehr verstehen und im schlimmsten Fall dauerhaft räumlich getrennt werden müssen.

Deshalb: Warte nicht auf Konflikte oder unerwünschtes Verhalten, sondern sorge mit gutem Management dafür, dass Konflikte entschärft werden und erwünschtes Verhalten gezeigt werden kann. Bestärke von Anfang an gutes Verhalten der Hunde untereinander. Dies gilt natürlich nicht nur für Welpen, sondern auch, wenn wir erwachsene Hunde aus dem Tierschutz zu uns holen. Auch hier ist es unsere Entscheidung, dass ein neuer Hund einzieht und es ist unsere Verantwortung für ein freundliches Miteinander im Hunderudel zu sorgen.

So macht es viel mehr Sinn, den Hund mit weniger Impulskontrolle weniger lange warten zu lassen – also z. B. zuerst zu füttern, anzuziehen oder aus der Türe zu lassen und deinen älteren, erfahrenen Hund dafür angemessen zu belohnen, dass er dich mit seiner Impulskontrolle so toll unterstützt.

Sorgst du von Anfang an proaktiv für ein harmonisches Miteinander, so ist das die beste Grundlage für eine gute Beziehung der Hunde untereinander, zu dir und für ein entspanntes Leben im Mehrhundehaushalt.


"Nimmt der Mensch seine Verantwortung im Zusammenleben mit Hunden wahr, so können ganz wunderbare Freundschaften und innige Beziehungen unter den Hunden entstehen."

Anne Rosengrün


Mythos Nr. 2: Ein weiterer Hund macht nicht viel mehr Arbeit. Der läuft ja einfach mit und lernt das meiste vom Ersthund bzw. den Hunden, die schon länger da sind.

Dem Irrglauben, dass es keinen großen Unterschied macht, ob man nun zwei oder drei Hunde hat, sind schon viele Hundemenschen erlegen. Damit ist das unser Myhtos Nummer zwei, der drei größten Mythen über Hundegruppen.

Dahinter steckt die (Wunsch-)Vorstellung, dass der neue Hund sich schnell und leicht an das neue Umfeld gewöhnt und sich ohne Probleme in unser Leben und unseren Alltag mit den bereits vorhandenen Hunden integriert und sich die Hunde gegenseitig „erziehen“.

 
Fakt ist aber: der neue Hund bringt immer seine eigene Persönlichkeit und seinen eigenen Charakter mit. Damit dann auch individuelle Bedürfnisse und Vorlieben, die unter Umständen ganz neue Herausforderungen mit sich bringen können. Dies erfordert in den allermeisten Fällen neue Ansätze für Lösungen, Kompromisse im Alltag und individuell angepasstes Hundetraining. Dass der neue Hund tatsächlich einfach so nahtlos im Alltag mitläuft, ist eher die Ausnahme.

"Man sollte sich von dem Gedanken verabschieden: Ob ich einen oder zwei Hunde habe, macht gar keinen Unterschied. Oh doch! Es macht einen riesengroßen Unterschied."

Anne Rosengrün


Auch wird oft unterschätzt, wieviel mehr Aufwand ein zusätzlicher Hund bedeutet.
Vor allem der Faktor Zeit, wird gerne mal unterschätzt. Mit einem zusätzlichen Hund brauchst du mehr Zeit für die Pflege (z. B. Krallenschleifen oder Bürsten), mehr Zeit für gezieltes Hundetraining und individuelle Beschäftigung. Tierarztbesuche werden dann schonmal zu Tages-Ausflügen und wenn es in den Urlaub gehen soll, muss geklärt werden, wie man die Betreuung der Hunde organisiert bzw. wie man es für die Hunde angenehm gestalten kann, wenn sie mit in den Urlaub fahren.


Auch die Annahme, dass Hunde sich gegenseitig erziehen, bestätigt sich in den meisten Fällen nicht. Meist ist es eher so, dass sich die Hunde untereinander die nicht so beliebten Eigenschaften gegenseitig verstärken bzw. voneinander abgucken. Zusammen wird dann Jagdverhalten deutlich mehr gezeigt, Begegnungen mit anderen Hunden können erstmal schwieriger sein als gewohnt oder Ängste – wie Trennungs- oder Geräuschangst – können verstärkt werden.

"Egal wie, Hauptsache NETT. Ohne Gewalt anzuwenden, ohne Strafe, ohne Zischen. Sondern mit Marker, Lob und positiver Verstärkung."

Anne Rosengrün


 Im günstigsten Fall sollte der Hund, der schon da ist, keine großen Probleme im Alltag haben. Kann dein Hund schon gut allein Zuhause bleiben, ist entspannt in Begegnungssituationen und ist draußen nicht ängstlich oder mega aufgeregt, dann ist das die ideale Voraussetzung, um über einen weiteren Hund nachzudenken.

Ideal ist auch, wenn der neue Hund schon viele positive Erfahrungen sammeln konnte. Dies ist in der Realität aber nicht immer der Fall. Wichtig ist, dass du von Anfang an freundlich trainierst. Hier gilt immer: Trainieren statt dominieren. Das bedeutet, dass du gutes Verhalten einfängst und nicht so gutes Verhalten durch Management entschärfst. Ansprache und Handtouch sind wertvolle erste Maßnahmen, die aufgebaut werden sollten, um den Hund von Anfang an aus blöden Situationen herausholen zu können.

Mythos Nr. 3: Hunde sind Rudeltiere, brauchen Artgenossen und beschäftigen sich dann selbst miteinander.

Auch diese Aussage darf nicht fehlen, bei den drei größten Mythen über Hundegruppen. Die meisten Hunde sind in der Tat sehr soziale Lebewesen und freuen sich sehr über Kontakt zu Artgenossen. Allerdings bedeutet eine Hundegruppe immer auch das Teilen von wichtigen Ressourcen. Viele Hunde sagen draußen: Artgenossen, ja! Und innen: Artgenossen, nein danke!

Auch die Gruppendynamik in der Mehrhundehaltung, sollte nicht unterschätzt werden.
Zusammen macht das Jagen gleich nochmal so viel Spaß und verspricht ja auch gleich mehr Erfolg. In der Gruppe ist man stark und mobbt fröhlich andere Hunde im Auslauf.
Zusammen kann man sich auch viel intensiver in Gefühle wie Stress, Ängste und Aufregung hineinsteigern. 


"Wenn der erste Hund nicht gut allein bleibt, der zweite macht das häufig nicht wett. Dann hat man meistens zwei heulende oder bellende Hunde und nicht nur einen."

Anne Rosengrün


Hunde profitieren definitiv von regelmäßigen Sozialkontakten – hier sind eher die festen Hundefreunde gemeint, als die ständig wechselnden Kontakte auf einer Hundewiese. Es fällt aber gerade Hunden, die lange als „Einzelprinzessin“ oder „Einzelprinz“ die ungeteilte Aufmerksamkeit ihrer Menschen hatten, oft sehr schwer, einen neuen Kumpel im Haushalt zu akzeptieren und sich an die neue Ressourcenverteilung zu gewöhnen. Für sie ist der neue Hund schlichtweg ein Konkurrent und schnell sind dann sowohl die Menschen als auch die Hunde mit der neuen Situation überfordert.

Auch der Gedanke, dass sich die Hunde untereinander dann „bespaßen“ und immer ein Spielkamerad vorhanden ist, hat seine Tücken. Denn: Spielen kann sehr schnell kippen.

Beim Spielen steigt naturgemäß immer auch die Erregungslage, die Hunde müssen sich immer wieder zurücknehmen und es kommt recht häufig vor, dass das Spiel irgendwann kippt und ein Hund ins Hetzen oder Mobben verfällt und der andere nicht weiß, wie er das Spiel beenden kann. Das Spiel sollte vom Menschen beobachtet werden und dieser sollte frühzeitig nett eingreifen, bevor es kippt.


"Ganz viel in der Mehrhundehaltung hängt davon ab: Wieviel sind mir meine Hunde wert? Wieviel Zeit habe ich und wieviel Zeit möchte ich mit meinen Hunden verbringen?"

Anne Rosengrün


Möchtest du einem zweiten oder dritten Hund ein Zuhause geben, solltest du dir über die Herausforderungen der Mehrhundehaltung bewusst sein. Genau dafür haben wir all unser Wissen zu den drei größten Mythen über Hundegruppen für Euch zusammengefasst.

Natürlich gibt es auch Einiges, was für die Mehrhundehaltung spricht: man lernt viel über die Körpersprache von Hunden, über Hundeverhalten und über Hundetraining, man lernt viel über sich selbst und wie man sich immer wieder selbst runterfährt, die Hunde lernen, sozial zu agieren und sich in Hundegruppen zurechtzufinden.
 
Ganz viel in der Mehrhundehaltung hängt davon ab: Wieviel sind dir deine Hunde wert?
Wieviel Zeit hast du und möchtest du mit deinen Hunden verbringen?
Bist du bereit, in Training zu investieren, in individuelle Beschäftigung und Pflege?

Gerade bei dem Gedanken „Die beschäftigen sich in der Hundegruppe mit sich selbst“ solltest du dich fragen: „Will ich, dass sie sich untereinander selbst beschäftigen?“ Denn oft sind wir mit dem Ergebnis dann nicht so zufrieden. Wenn sie zusammen abzischen, um die Welt zu erkunden, ausdauernd am Gartenzaun bellen, um potenzielle Eindringlinge das Fürchten zu lehren oder so wild miteinander spielen, dass es schlussendlich zu Aggression und Angst kommt, dann finden wir das meist nicht so gut.

Und mal ehrlich: Für ein harmonisches Zusammenleben ist das auch nicht zuträglich. Es ist meist gar nicht so sinnvoll, wenn man Hunde mit sich selbst beschäftigen lässt und ich bin auch überzeugt davon, dass unsere Hunde wollen, dass wir uns mit ihnen beschäftigen. Meine Hunde wollen, dass ich mit ihnen etwas mache. Und sie lieben es, einzeln Zeit mit mir zu verbringen.


"Da greife ich immer ein. Ich helfe den Hunden. Ich möchte, dass sie lernen, das selbst zu regulieren. Bis sie das schaffen, bin ich dafür verantwortlich."

Anne Rosengrün


Wenn Hunde eine ernsthafte Auseinandersetzung miteinander hatten, dann kann es richtig schwierig werden, sie wieder zusammen zu führen.  Wenn die Hunde dann so große Angst voreinander haben, dass sie sehr schnell aggressiv reagieren, sodass sie nicht mehr unbeaufsichtigt zusammen in einem Raum sein können, ist meist für längere Zeit sehr gutes Management und sehr intensives Training notwendig, um sie nochmal so aneinander zu gewöhnen, dass sie wieder friedlich miteinander leben können.
 
Denn unsere Hunde können nicht sagen: „Ich ziehe um“ oder „Ich suche mir ein neues Zuhause“.
Diese Möglichkeit haben unsere Hunde nicht. Wir haben sie so zusammengewürfelt und die Verantwortung für eine harmonische Hundegruppe liegt bei uns Hundemenschen!

Anstatt also auf die landläufigen Mythen über Hundegruppen zu vertrauen, werde proaktiv und lass deine Hunde nicht in Konflikte reinlaufen. Wenn dein Hund irgendwo länger als 3 Sekunden hinschaut, dann greife freundlich ein – sowohl wenn ihr draußen unterwegs seid als auch zuhause in der Hundegruppe.

Bevorzuge nicht permanent einen Hund aufgrund einer Rangordnung, die es ja so gar nicht gibt, sondern schau dir immer das Verhalten deiner Hunde an und unterstütze sie im Alltag, damit sie dir gutes Verhalten zeigen können und untereinander harmonische Beziehungen aufbauen können.

Alles Wissenswerte zu Anne Rosengrün:

Wenn du mehr über die Hundetrainerin Anne Rosengrün und ihre Arbeit erfahren möchtest, dann schau auf ihrer Website vorbei. Dort findest du viel Wissenswertes und alle Infos zu ihren Angeboten. Hier findest du Anne's Homepage.

Übrigens hat Anne ein sehr empfehlenswertes Buch zum Thema Mehrhundehaltung mit dem Titel "1,2,3 ... ganz viele: Mehrhundehaltung mit positiver Verstärkung" geschrieben.


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