Die Wahrheit über „angemessene Strafen“ im Hundetraining

- und wie du es schaffst, dass dein Hund deine Grenzen einhält, ohne ihn zu traumatisieren.

Neulich kam dieser Kommentar unter einem meiner Beiträge. Fast gebetsmühlenartig immer wieder gehört und in der Tiefe meistens nicht verstanden:

"Die Korrektur muss also so angemessen sein, dass der Hund, auch wenn ich abgelenkt bin, nicht das unerwünschte Verhalten zeigt."

Wenn du hier bist, möchtest du deinen Hund vermutlich gar nicht so stark bestrafen, oder du hast es bereits erfolglos versucht. Und doch bist du immer wieder verunsichert, wenn du das hörst?

Lass uns hier echte Klarheit schaffen, damit du selbstbewusst den Weg gehen kannst, der zu euch passt und dein Hund lernt, was du dir wirklich von ihm wünscht.

Was ist eine angemessene Strafe für deinen Hund?

Eine angemessene Strafe würde bedeuten, nicht zu schwach, dass der Hund es wieder zeigt, aber auch nicht zu hart. Nun stellt sich die Frage, wie genau weiß ich, was angemessen ist?

Tatsächlich weißt du das nie. Denn ob es angemessen ist, weiß nur dein Hund und der würde sich sowieso nie freiwillig dafür entscheiden, bestraft zu werden. Er möchte in erster Linie seinen Bedürfnissen nachgehen. Und das ist nie ein persönlicher Angriff gegen dich, auch wenn es sich manchmal so anfühlt.

"Der nimmt mich nicht ernst."  Diesen Gedanken kennen vermutlich viele.

Gehen wir also davon aus, die Strafe war hart genug, dass der Hund das Verhalten nicht mehr zeigt, selbst wenn er keine Strafe mehr erwarten müsste, weil sein Mensch abgelenkt oder gar nicht anwesend ist.

Ein ganz klassischer Ratschlag in so vielen Hundeschulen, der genau eines erzeugt:

Ein Trauma.

Dein Hund macht eine traumatische Erfahrung, die so tief sitzt, dass er sein für ihn sinnvolles Verhalten komplett unterdrückt, aus Angst davor, genau dieses Trauma nochmals erleben zu müssen.

Ich glaube nicht, dass du das tatsächlich in die Freundschaft mit deinem Hund bringen möchtest. Gleichzeitig bringt auch das einige Nebenwirkungen mit sich, wie jede traumatische Erfahrung.

Nebenwirkungen von strafen im Hundetraining:

Vorsicht vor dem häufigen Trugschluss, wenn es scheinbar so aussieht, als sei der Hund jetzt entspannt. Als Traumareaktion stellt der Hund sein Verhalten ein. Das ist keine Entspannung, sondern aufgeben.

Und andere Hunde beginnen zu kämpfen. Schon entsteht eine handfeste Auseinandersetzung mit deinem Hund, die zu weiterer Eskalation und härteren Strafen führen würde. Der Weg in die Gewaltspirale ist geöffnet.

Oder aber dein Hund beginnt die Angst zu generalisieren und verknüpft sie nicht nur mit dem scheppernden Schlüssel, sondern auch mit immer mehr plötzlichen Geräuschen, was zu einer komplexen Angstproblematik führt.

Im schlimmsten Fall rutscht dein Hund in eine Art Canine PTSD, die Flashbacks zufolge haben kann und dann braucht er wirklich eine Verhaltenstherapie, die vorher nicht nötig gewesen wäre.

(Ja, habe ich alles leider schon zu oft erlebt)

Warum Strafen im Hundetraining immernoch anerkannt sind:

Warum hält sich diese Ansicht dann so vehement?

Kaum ein Mensch möchte seinem Hund bewusst schaden. Gleichzeitig gibt es Menschen, die so sehr daran festhalten, obwohl es rational deutlich wird, dass sich ein anderes Bild zeigt. Woran das liegt?

Lass mich eine Sicht mit dir teilen, die möglich ist. Nimm daraus mit, was für dich resoniert, ohne demnächst alle Menschen über einen Kamm zu scheren.

Und erinnere dich daran: Dieser Beitrag ist FÜR dich, nicht gegen dich gerichtet.

Nehmen wir an, ein Mensch liebt seinen Hund und hält gleichzeitig daran fest, dass dieser Umgang gerechtfertigt ist.

Es ist möglich, dass dieser Mensch in seiner eigenen Vergangenheit Erfahrungen machen musste, die nicht schön und auch nicht in Ordnung waren. So menschlich: Um uns vor dem Erkennen dieser Erfahrung zu schützen, beginnen wir, diese zu bagatellisieren oder sogar zu glorifizieren:

"Diese Erfahrung hat mich stärker gemacht."

Sie hat uns in erster Linie traumatisiert
und sie zu rechtfertigen sorgt dafür, genau dieses Trauma lebendig zu halten und es weiterzugeben. Auch an deinen Hund.

Was so viele Menschen zu wenig erfahren durften:

In unserer kollektiven Geschichte ist etwas verankert, das bis heute für so viel Leid sorgt.

Schmerz = Liebe

"Ich mache das nur, weil ich dich liebe und dich beschützen will." So oder so ähnlich hast du es vielleicht auch schonmal gehört. Je nachdem, in welcher Generation du aufgewachsen bist, war es vielleicht sogar noch total normal, Kinder zu schlagen.

Und doch ist es das nicht. Das, was da entsteht, ist eine abstruse Verknüpfung von Liebe und Schmerz. Eine Verknüpfung, die wir wieder lösen dürfen.

Dafür darfst du:

  • Wenn du dich in Momenten wie diesem erkennst, erlaube es dir den Pauseknopf zu drücken, um nicht aus einem getriggerten Trauma heraus zu reagieren. Erinnere dich daran, dein Hund ist nie gegen dich. Er ist für sich. (Auch etwas, das triggern kann…)
  • Nimm dir Zeit, dich auf tieferen Ebenen mit dem Verhalten und Bedürfnissen deines Hundes zu beschäftigen, statt in einem oberflächlichen Spiel zu bleiben, das euch beiden nicht gerecht wird. Je mehr Verständnis du für das Verhalten deines Hundes entwickelst, desto leichter wird es auch bei dir zu bleiben und nicht blind einem Trigger zu folgen.
  • Öffne den Raum, um deinen Themen zu begegnen. Denn vielleicht ist genau das das größte Geschenk, das dein Hund dir gemacht hat.

Blogartikel #60


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